Im Archiv: RBB Abendschau vom 26.10.2020 [1]
Der RBB-Beitrag
Der Beitrag mit dem Titel Aus dem Alltag eines Uber-Fahrers bestätigt, was alle kundigen Spatzen von den Dächern pfeifen:
– Wie Taxis befördern Uber-Fahrzeuge in Berlin zur Zeit [2] einen Fahrgast oder weniger pro Stunde.
– Die Uber-Fahrer verdienen kaum 4 Euro pro Stunde. Sie erhalten 20 bis 25 Prozent vom Umsatz, nachdem der Uber-Konzern 30 bis 35 Prozent und das Mietwagenunternehmen 45 Prozent einbehalten haben.
– Viele arbeiten deshalb ohne Pausen 12 oder mehr Stunden an jedem Tage der Woche.
– Die Uber-Fahrer erhalten den größen Teil ihres Gehalts unter der Hand.
– Sie werden bei Steuer und Krankenkasse als Minijobber mit beispielsweise 450 Euro monatlichem Einkommen angemeldet, obwohl sie bis zu 1500 Euro netto verdienen.
– Die Fahrer erhalten zusätzlich Arbeitslosengeld II und kommen so auf Monatseinkommen von 2000 Euro und mehr.
– Uber vertritt den Standpunkt, dass derartige Praktiken in den Verträgen mit ihren Subunternehmern ausdrücklich verboten sind.
Hintergrund
Wir wissen, dass die Mietwagenfirmen, welche Fahrten im Auftrag von Uber ausführen, ihre Buchhaltung leicht manipulieren können, ohne eine Entdeckung fürchten zu müssen, denn es gibt keine Wegstrecken- Umsatz- oder Arbeitszeiterfassung in ihren Autos.
Das US-Unternehmen Uber kennt Umsätze und Strecken der gefahrenen Touren dafür umso genauer und verfügt über alle Möglichkeiten, Verstösse gegen Arbeitszeitgesetz und Abgabengesetze zu erkennen.
In bemerkenswerten Größenordnungen hat erst die die Abschaffung der Ortskundeprüfung für Mietwagenfahrer am 7.7.2017 [3] das im Beitrag beschriebene betrügerische Geschäftsmodell in grossem Umfang möglich gemacht. Vorher gab es nicht genügend berechtigte Fahrerinnen und Fahrer, die bereit gewesen wären, für so wenig Geld zu arbeiten. Die Mühen der Vorbereitung auf die Ortskundeprüfung und ihre hohe Durchfallquote begrenzten die Zahl der potentiellen Ausbeutungsopfer. [4]
Wirtschaftliche Folgen sind massiv
Der systematische MIssbrauch des Arbeitslosengeld II als Lohnsubvention durch Uber und seine Auftragnehmer hat die Entstehung eines weiteren Sektors der Armutsökonomie in Deutschland bewirkt.
In Berlin sind 20.000 bis 30.000 Fahrerinnen und Fahrer von Uber-Fahrzeugen und Taxis gemeinsam mit ihren Familien Opfer der Machenschaften von Uber-Lobbyisten, Verkehrspolitik und ausbeuterischen Unternehmen.
Sollten Politik und Verwaltung diese Entwicklung nicht beenden und für die Durchsetzung gesetzeskonformer Löhne sowie der dafür erforderlichen Rahmenbedingungen sorgen, werden alle Taxi- und Mietwagenunternehmen in den Ruin getrieben, die sich an Recht und Gesetz halten. Ohne beherztes Eingreifen wird sich die jetzt schon existierende Parallelgesellschaft aus wehrlosen Ausgebeuteten und brutalen Ausbeutern [5] weiter festigen. Das wäre nicht nur eine große soziale Ungerechtigkeit für die Betroffenen sondern würde hohe Kosten für die Stadt Berlin zur Folge haben.
Wer profitiert ?
Der massive Einbruch von Uber in Deutschland wurde erst durch die gesetzeswidrige Unterschreitung der bereits extrem niedrigen Taxi-Löhne möglich.
Dennoch braucht die Mehrheit der Taxi- Unternehmen [6] die Zukunft nicht zu befürchten, denn auch für sie werden zur Zeit vom Verkehrsministerium die Abschaffung der Ortskundeprüfung und eine Lockerung der Tarifpflicht in die Wege geleitet. Diese beiden Maßnahmen werden auch fragwürdigen Taxiunternehmen das Verschleiern von illegal das Mindestlohnniveau unterschreitenden Löhnen wesentlich erleichtern.
Der US-Konzern Uber darf sich das alles als einen Erfolg seiner Lobbyarbeit gutschreiben. Nach dem Uber-Taxi geht es weiter mit Uber in der Fläche [7], Uber Eats [8], Uber Works [9] und weiteren Versuchsballons. Das klappt nicht immer, jedoch verfolgt der Uber-Konzern sein Ziel der Zerstörung öffentlicher Einrichtungen durch Disruption [10] deutlich beharrlicher als die meisten anderen US-Startups und Internetkonzerne.
Was tun ?
Taxis und Mietwagen benötigen eine so genannte Konzession, die von der Gemeinde ausgestellt wird, in der das Unternehmen seinen Sitz hat. Diese Konzession kann versagt werden, wenn Zweifel an der Zuverlässigkeit eines Unternehmens bestehen. Wenn die Aufsichtsbehörde einem Unternehmen den Betrieb von Taxis oder Mietwagen nicht genehmigt und ihm keine Konzession erteilt, ist es an dem Unternehmen, Zweifel an seiner Zuverlässigkeit durch umfassende Dokumentation seines Geschäftsbetriebes auszuräumen. Dieses Werkzeug wird in Berlin nur zögerlich und im Landkreis Dahme Spreewald [11] anscheinend überhaupt nicht genutzt, um gegen Betriebe vorzugehen, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht zahlen oder Umsätze verschleiern [12] und Schwarzarbeit praktizieren.
Die Aufsichtsbehörden haben es in der Hand zu verhindern, dass die ehrlichen Taxi- und Mietwagenunternehmen von ihren betrügerischen Konkurrenten [13] aus dem Markt gedrängt werden.
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Bildquelle: WIkimedia Commons [14]
[1] Die ursprüngliche Adresse des Beitrags in der RBB Mediathek lautete https://www.rbb-online.de/abendschau/videos/20201026_1930/fahrer-aus-berlin-erhebt-schwere-vorwuerfe-gegen-uber.html
Er kann heute nicht mehr abgerufen werden. Die Abendschaubeiträge verbleiben nur eine kurze Zeit in der ARD Mediathek. Wir haben deshalb ein "Belegexemplar" heruntergeladen und archiviert.Der Download erfolgte über die WWW-Seite MediathekViewWeb , wo die meisten Inhalte der ARD Mediathek legal heruntergeladen werden können.
[2] Der RBB-Beitrag stammt aus dem Oktober 2020. Während des bundesweiten November-Lockdowns sind die Umsätze und damit die Löhne erheblich niedriger, so dass der Druck zu überlangen Arbeitszeiten für die Fahrerinnen und Fahrer noch größer wird. Das macht die Lenker von Uber-Autos zu Zeitbomben, die andere Verkehrsteilnehmer durch ihre Übermüdung in Gefahr bringen. Die Abwesenheit jeglicher Arbeitszeiterfassung in den Uber-Mietwagen wird so zu einer mörderischen Angelegenheit.
[3] Taxi-Times-Bericht über die Abschaffung der Ortskundeprüfung für Mietwagenfahrer am 7.7.2017 unter dem dem URL https://www.taxi-times.com/ortskundewegfall-fuer-mietwagen-im-bundesrat-beschlossen/
[4] In Berlin erreichte die Zahl der Uber-Fahrzeuge ab dem Sommer 2018 eine nennenswerte Größenordnung. Zum Jahreswechsel 2019/2020 war der Berliner Taxi-Umsatz trotz des anhaltenden Tourismusbooms um 20 bis 30 Prozent gefallen, und zahlreiche Betriebe beabsichtigten ihre Tätigkeit einzustellen. Da die Verluste vor allem von den Angestellten getragen und teilweise durch längere Arbeitszeiten ausgeglichen wurden, blieb die Zahl der geschlossenen Taxibetriebe gering. Erst der wirtschaftliche Shutdown im Frühjahr 2020 erzwang dann die Rückgabe von ungefähr 1000 Taxikonzessionen.
[5] Die Abschaffung der Ortskundeprüfung wurde vom Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vorangetrieben. Damit erschloss er den Mietwagenunternehmen ein riesiges Arbeitskräftepotenziel. Sie können nun Arbeitslosen zusagen, ihnen jeden Monat über 1000 Euro völlig risikolos schwarz auszuzahlen.
[6] Für Berlin hat das amtliche Wirtschaftlichkeitsgutachten von 2016 nachgewiesen, das 77% der Taxis bzw. ca. 80% der Unternehmen kein plausibles Wirtschaftsmodell hatten, also ihre Buchhaltung zumindest in grossen Teilen nicht der Realität entsprach . Da sich seitdem die gesamtwirtschaftlichen Eckdaten nicht zum besseren gewendet haben, muss davon ausgegangen werden, dass all diese Unternehmen ihren Angestellten nicht den mittlerweile gesetzlichen Mindestlohn zahlen und sie auch sonst ihre Kosten mit illegalen Methoden drücken.
[7] Bei Ubers ‚Kirchheim-Projekt‘ im Münchner Speckgürtel werden die Aktivitäten des Konzerns aus öffentlichen Mitteln subventioniert, berichtet die Taxi-Times. Vermutlich will sich die Gemeinde langfristig die Kosten für ein eigenes öffentlichen Nahverkehrsangebot sparen. So arbeitet der Konzern an der Übernahme und Abschaffung der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge für alle.
[8] Die Botinnen und Boten der Lieferservices werden in der Regel nicht als versicherungspflichtige Angestellte sondern als Selbständige beschäftigt, die ihre Arbeitsmaterialien wie Fahrräder, Smartphones, Ersatzteile und Werkzeuge sowie ihre Kleidung selber bereitstellen und bezahlen müssen. Diese Art der Anstellung als contractor ist im Heitmatland des Konzerns zulässig, obwohl sie zum völligen Ausgeliefertsein der Beschäftigen führt. In Deutschland sind die Fahrradboten, wenn sie nicht regulär vom Unternehmen mit Arbeitsvertrag bei der Sozialversicherung angemeldet werden, Scheinselbständige, für die das Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen muss, damit sie Anspruch auf Rente, Krankenversicherung und Arbeitslosengeld erwerben. Das durchzusetzen ist schwierig, da die meisten Botinnen und Boten das Unternehmen bereits nach wenigen Wochen wieder verlassen.
[9] Bei diesem, mittlerweile vom Konzern in den Winterschlaf geschickten, Projekt wird Uber zum universellen Arbeitsvermittler. Wie alle Startups verspricht das Unternehmen seinen Investoren enorme Profite durch das Erreichen des Status eines Unicorn, eine schöne Umschreibung für die de facto Monopolstellung in einer Branche. Uber übernimmt bei der Arbeitsvermittlung keine Verantwortung, sondern verschiebt sie zu Zeitarbeitsfirmen, die wiederum nur zahlen, wenn die unmittelbaren Ausbeuter ihr O.K. geben.
[10] Die Wahrnehmung des Begriffs Disruption ähnelt im deutschsprachigen Raum der schöpferischen Zerstörung nach Schumpeter, wird in seiner US-Interpretation nach Ayn Rand jedoch zu einer Ideologie, die sämtliche gesellschaftlichen Einrichtungen zerstören und vollkommen privatisiert den Marktkräften überantworten will. Die britische Neoliberale Margaret Thatcher drückte es in dem Satz aus There is no such thing as society. Was ein Mensch und seine Familie nicht aus eigenem Wohlstand und Fähigkeiten verwirklichen können, soll nach dieser Vorstellung nicht von Staat oder Gesellschaft übernommen werden. Gesellschaftliche Daseinsvorsorge und Solidarität der Wohlhabenden mit den Armen werden als teuer und schädlich abgelehnt. Auf der Durchsetzung dieses brutalen Gesellschaftsmodells beruhen die Profitversprechen der Uber-Betreiber an ihre Investoren.
Weiterführende URLs
https://de.wikipedia.org/wiki/Disruption_(Gesellschaft_und_Politik)
https://www.margaretthatcher.org/document/106689
[11] Im Landkreis Dahme Spreewald liegt der neue Hauptstadtflughafen Willy Brandt / BER. Anders als die Stadt Berlin verpflichtet der Landkreis seine Taxiunternehmen nicht zum Einbau eine so genannten Fiskaltaxameters, und ermöglicht so betrügereischen Betrieben die problemlose Manipulation von Umsatz- Lohn- und Arbeitszeitaufzeichnungen zum Nachteil ihrer Angestellten und der Allgemeinheit.
[12] Unter der Überschrift Umsatzunterdrückung und Corona-Hilfen - das passt nicht berichtet die Taxi-Times am 5.11.2020 Zitat: Fundierte und ehrliche Umsatzdaten helfen den Gewerbeverantwortlichen, Corona-Hilfen für das angeschlagene Taxigewerbe auszuhandeln. Studien über unplausible Taxiumsätze und Vorwürfe der Tachomanipulation erweisen der Branche hingegen einen Bärendienst. Weiter Verbandspräsident Taxi und Mietwagen Michael Müller: ... betonte gegenüber den Taxiunternehmern, dass man bei der Bittstellung für branchenspezifische Corona-Hilfen oftmals nicht über ein zuverlässiges Zahlenmaterial verfüge, um die Höhe des Umsatzeinbruchs und den damit verbundenen Unterstützungsbedarf auch statistisch belegen zu können.
[13] In kaum einem anderen Gewerbe werden Gewinne, Umsätze und Löhne derart geheim gehalten wie im Taxigewerbe. In der Fachzeitschrift Taxi-Times beklagt deshalb Verbandspräsident Taxi und Mietwagen Michael Müller die Abwesenheit glaubwürdiger betriebswirtschaftlicher Zahlen und Statistiken, als Voraussetung für Beihilfen zum Überleben der Corona-Schutzmassmahmen. Dafür müssen Verluste anhand von betrieblichen Aufzeichnungen, die einem Abgleich mit Aufzeichnungen für das Gewerbe insgesamt standhalten, nachgewiesen werden. Zumindest für einen Teil der Taxibranche veröffentlichen nun einige Taxiunternehmen aus München und anderen Städten ihre Monatsumsätze im Internet unter https://www.taxileaks.de
. Diese Zahlen sind ein Indiz für die Umsatzentwicklung in Teilen der Bundesrepublik. Statistisch belastbare Daten aus Verbands- und amtlichen Quellen sehen jedoch anders aus.
[14] Logo und Illustration: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Skulptur_Masurenallee_16_(Westend)_Sandmann%26Thomas_Lindner%262019.jpg
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