Tagesspiegel Newsletter vom 16.2.2023

Boris Buchholz hat ein Interview mit dem Taxi-Soziallotsen geführt.

18. Februar 2023 von Klaus Meier

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Quelle:Tagesspiegel Newsletter - Namen und Nachrichten aus Ihrem Berliner Bezirk
und
Taxi-Soziallotse kritisiert Berlinale-Sponsor Uber: „Das Festival soll vor jedem Kino eine Taxihalte einrichten“,
Uber ruiniere die Taxibetriebe: Taxi-Soziallotse Klaus Meier hält die Entscheidung, Uber zu einem Hauptsponsor der Filmfestspiele zu machen, für grundfalsch.

NACHBARSCHAFT
Interview: Boris Buchholz

Es gibt nur einen Taxi-Soziallotsen in Berlin, und der heißt Klaus Meier. Der Steglitzer, im Jahr 1960 im Auguste-Viktoria-Krankenhaus geboren, in der Schützenstraße aufgewachsen, Schüler des Hermann-Ehlers-Gymnasiums, war von 1985 bis 2019 selbst Taxifahrer. Obwohl er in einer Neujahrsnacht mal fast 1000 Mark einnahm, „kann ich das jetzt nur noch als Hobby machen, weil man zu wenig verdient“, sagt er im Vorgespräch. Beschäftigt ist der Taxi-Soziallotse beim Berliner Arbeitslosenzentrum (BALZ); das BALZ wird unter anderem vom evangelischen Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf finanziell unterstützt.

Herr Meier, wie geht es den Berliner Taxifahrerinnen und Taxifahrern?
In einem Wort: Schlecht. Seit ich 1985 ins Taxi eingestiegen bin, sind die Umsätze und Löhne mal schneller, mal langsamer gesunken. Der letzte Tiefpunkt war der Corona-Lockdown als nur noch Umsätze von unter fünf Euro pro Stunde eingefahren wurden. Seitdem haben sich die Einkommen kaum erholt und liegen meistens deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Die Kollegen, mit denen ich spreche, fühlen sich von allen verraten und verkauft, von ihren Chefs genauso wie von Politik und Gesellschaft. „Wir werden wie Dreck behandelt“, höre ich oft.

Sie wissen Bescheid, weil Sie Taxi-Soziallotse sind. Was ist das, was machen Sie genau?
Meine Hauptaufgabe besteht im Zuhören. Ich versuche Mut zu machen und helfe bei Auseinandersetzungen mit Ämtern und Betrieben. Viele behördliche Regelungen sind auch für Taxiunternehmer undurchsichtig. Ich stelle Politik und Verwaltung die Fragen der Taxifahrer und versuche, Gesprächsfäden wieder zu verbinden, die abgerissen waren. In der nächsten Zeit werde ich eine Reihe von Interviews mit Taxikolleginnen und -kollegen veröffentlichen, die ich im Laufe des letzten Jahres gedreht habe. Sie sollen dem schlechten Image etwas entgegensetzen und die Bedeutung der Menschen am Steuer für unsere Stadt zeigen.

Heute beginnt die Berlinale – und Sie verderben die Festtagslaune, weil Sie Uber als einen der Hauptsponsoren kritisieren. Warum?
Es ist der Uber-Konzern, der für miese Laune sorgt. Er stellt das System bereit, mit dem die Mietwagenlenker zu Dumpinglöhnen ausgebeutet werden. Er ruiniert Taxibetriebe und trägt dazu bei, dass niemand mehr von der Arbeit als Taxifahrer leben kann. Die Taxibetriebe haben durch jahrelange Tricksereien auch ihren Anteil an der Lage, aber Uber hat für schädliche Gesetzesänderungen, zum Beispiel die Abschaffung der Ortskundeprüfung, und für die Gründung zahlreicher Mietwagenbetriebe gesorgt, die den Taxibetrieben den Rest geben. Die Berlinale-Leitung hat das wohl alles nicht auf dem Plan gehabt und Uber mit einem modernen Beförderungsdienstleister verwechselt. Das ist das Ergebnis der Millioneninvestitionen in Pro-Uber-PR.

Wie stark leidet das Berliner Taxiwesen bereits an Uber und ähnlicher Konkurrenz?
Wenn es so weitergeht, wird es in absehbarer Zeit kein Taxigewerbe mehr geben. Nur Unternehmen, die Ausbeutung und Verkürzung von Steuern und Sozialabgaben praktizieren, können mit dem Uber-Dumping mithalten, die anderen zahlen drauf. Das Problem ist nicht nur der Uber-Konzern, denn die vergleichbaren Plattformen sind nicht besser. Im Grunde geht es weltweit um den Überlebenskampf von schutzbedürftigen Klein- und Kleinstbetrieben gegen milliardenschwere Weltkonzerne, die lokale Märkte mit rücksichtslosen Methoden erobern wollen, um anschließend Preise und Arbeitsbedingungen alleine zu bestimmen.

Was müsste die Berlinale nach Ihrer Meinung sofort tun?
Ich verstehe, dass die Berlinale mit Uber geschlossene Verträge nicht sofort annullieren kann. Die Berlinale sollte aber sofort Taxihalteplätze direkt vor allen Kinos einrichten und Hinweistafeln zum Taxi- und BVG-Nahverkehr in den Kinos aufstellen. Außerdem sollte sie bereits während des Filmfestivals mit BVG und Taxiunternehmen gemeinsam die Auswertung der Besucherströme angehen und im Laufe des kommenden Jahres ein gemeinsames ökologisches Verkehrskonzept für 2024 entwickeln. Dabei sollten auch Vertreter der Gewerkschaft ver.di eingebunden werden, damit die Arbeitsbedingungen der Kollegen gut gestaltet werden.

Halten vor den Kinos: Könnten dann die Berliner Droschken gleich einspringen?
Es gibt immer noch über 5000 Taxis in Berlin, deren Fahrerinnen und Fahrer gerne die Berlinale-Gäste befördern möchten. Wenn Halteplätze vor den Kinos eingerichtet werden, und das Ende der Filmvorführungen über die Taxizentrale bekannt gemacht wird, werden sie mit Sicherheit zur Stelle sein. Die Stadt Berlin darf das sogar anordnen und die Taxiunternehmen müssen dem Folge leisten. Die Fahrgäste würden dann für eine Strecke immer den gleichen, von der Stadt festgelegten Preis zahlen und vor dem unkalkulierbaren „surge pricing“ von Uber geschützt sein.

Gab es denn schon Gespräche mit der Festivalleitung? Wenn ja, was haben sie erbracht?
Es hat ein Gespräch der Berlinale-Leitung mit einem Vertreter des Berliner Taxigewerbes gegeben. Dabei hieß es sinngemäß, dass es Verträge mit Uber gebe und der Drops gelutscht sei. Ich habe daraufhin der Berlinale-Leitung und den maßgeblichen Verkehrs- und Kulturpolitiker:innen geschrieben und um die Einrichtung von Halteplätzen vor den Kinos gebeten.

Ich habe in diesem Berlinale-Programm keinen Taxifilm entdeckt. Was wäre denn ein gutes Thema für einen Film über Berlins Kutscher:innen?
Die guten Taxigeschichten liegen sozusagen auf der Straße, man muss sie nur entdecken und aufschreiben. Am meisten bewegt hat mich, wie einfache Menschen, die nicht einmal die Bedeutung der Einträge auf ihrer Lohnabrechnung begreifen, skrupellos um den ihnen zustehenden Lohn gebracht werden. Viel besser würde mir die Geschichte von dem Kollegen gefallen, der wie Till Eulenspiegel die Bösen narrt und den Guten mit seinen Streichen hilft. Es gibt beide Figuren, denn wir Kutscher sind mal die Hilflosen und mal die Siegreichen.

Sie sind als Soziallotse beim BALZ angestellt: Warum kümmert sich das Arbeitslosenzentrum um Taxifahrer – die haben doch noch ihren Job?
Mittlerweile gibt es arbeitslose Taxifahrer, das ist neu und begann mit dem Einbruch von Uber in den Berliner Taximarkt. Das Berliner Arbeitslosenzentrum ist auch für arme Arbeitende da, die vom Ertrag ihrer Arbeit nur schlecht leben können. Betroffen sind mittlerweile so gut wie alle Taxifahrerinnen und -fahrer. Die Kolleginnen und Kollegen im BALZ Beratungszentrum und am BALZ-Beratungsbus helfen bei Fragen zu Arbeitslosen- und Bürgergeld und unterstützen bei der Bearbeitung des Papierkrams. Wohlhabende bezahlen Anwälte und Steuerberater, einfache Menschen müssen alles selber machen, auch wenn sie dafür überhaupt nicht ausgebildet sind. Diese Lücke füllt das BALZ und ich mache das für die Taxifahrerinnen und Taxifahrer.

Noch einmal zurück zu Ihrer Zeit als aktiver Fahrer: Was sind Ihre Lieblingshalten in Steglitz-Zehlendorf?
Die sind immer da, wo die meisten „Fuhren“ zu holen waren. Das änderte sich mit den Jahren. Zunächst war in den 1980-er Jahren „Händel“, das ist der Funkcode, am Arbeitsamt super. Aber die Gegend verarmte mit der Zeit und es zog mich immer öfter zur „Wiesenbaude“ im wohlhabenden Lichterfelde. Als Nachtfahrer mochte ich auch „Mexiko“ am S-Bahnhof, weil von dort aus ganz Zehlendorf, Nikolassee und Wannsee in wenigen Minuten erreichbar waren. Das funktionierte aber nur so lange, wie Aufträge per Sprechfunk vermittelt wurden und man sich bei guter Ortskenntnis für weiter entfernte Aufträge bewerben konnte. Als Tagfahrer würde ich mich heute nur an Halteplätzen in Steglitz-Zehlendorf aufstellen, wenn am Halteplatz und in der Funk-Warteschlange höchstens je ein Kollege vor mir dran wäre. Das ist so gut wie nie der Fall. Am besten „laufen“ heute die ehemaligen Ostberliner Außenbezirke.

Und was schätzen Sie an dem Beruf?
Ich liebe die Arbeit als Taxifahrer, nur hat mit den sinkenden Einnahmen auch Geringschätzung durch Fahrgäste und Verkehrsteilnehmer Einzug in den Arbeitsalltag gehalten. Das überschattet alles Positive.

Bitte jetzt das Positive.
Taxifahren ist toll, weil man arbeiten kann, wann, wo und soviel man will, zumindest wenn man nicht 40 Stunden und länger in der Woche am Lenkrad verbringen muss, um seine Miete zahlen zu können. Die Arbeit ist so selbstbestimmt, wie das für Angestellte überhaupt vorstellbar ist. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung und wer seine Schicht mit offenem Herzen und guter Stadt- und Menschenkenntnis angeht, erfährt viel über das Leben von Menschen aus aller Welt. Man lernt jeden Tag etwas Neues über die Stadt, weil man überall hinkommt und allen Menschen begegnet, die Berlin ausmachen. Als man noch freie Fahrt hatte, und es nur wenige Staus, Blitzer und selbstmörderische Fahrradfahrer gab, machte auch das Autofahren auf den Berliner Straßen viel Spaß.

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